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Kunst ist Arbeit [www.honetschlaeger.com]

Ich fahre auf der Westautobahn Richtung Linz. Im Mittagsjournal auf Ö1 kündigt man einen Bericht über die Filmenquete im Parlament mit folgenden Worten an: „Es gehe dabei um finanzielle Engpässe, aber auch um die kreative Hemmung der österreichischen Filmschaffenden“. Ich denk, ich hör nicht richtig. So wird das jetzt also gedreht – wir haben eine kreative Ladehemmung!

Ich bin Künstler, Filmemacher und Auslandsösterreicher. Seit nunmehr 13 Jahren lebe ich in den Vereinigten Staaten, in Japan und jüngst in Italien. Aus diesem Grund – auch wenn ich jedes Jahr nach Österreich komme – meine ich mit den Augen des Außenstehenden betrachten und urteilen zu können.

Österreich ist ein Paradies. Nirgendwo sonst gibt es so viel Unterstützung für die Künste wie im Herzen Europas. Ein Kulturland. DIE Insel der Seligen.

Zurück aus Palermo drehe ich den Fernseher auf, um Herrn Kanzler und Frau Vizekanzler staatstragend die Wiener Philharmoniker, aus der Loge der Staatsoper, verfolgen zu sehen. Absolutistische Monarchie, denk ich mir, der Souverän wünscht und die Truppe spielt. Was der Abend wohl gekostet haben mag? Sicher nicht mehr als es für einen guten Dokumentarfilm braucht. Doch gegen die gehätschelten Virtuosen kann man nicht an – auch wenn es um ihre in Österreich propagierte einsame Spitzenstellung in der Welt nicht weit her ist. Fragen Sie jemanden in Rom, New York oder Tokio welches Orchester das beste sei. Niemand an all diesen fernen, provinziellen Orten nennt dabei unser geliebtes Orchester als erstes – nein – die Berliner und andere werden vorgereiht. Ähnlich verhält es sich mit dem Ruf Österreichs als Kulturland außerhalb seiner Grenzen.

Ich seh' schon, wie jetzt viele von ihren Sesseln hochfahren und Blasphemie schreien. Aber darum geht es nicht in diesem Vergleich. Vielmehr geht es darum, dass keiner zu bemerken scheint, mit Ausnahme der Betroffenen, dass das, was ich unter österreichischer Kultur verstehe, seit Jahren, nein Jahrzehnten sukzessive unterminiert wird – verbal wie pekuniär.

Was ist sie wert, die Kultur? Was ist Kultur?

Kultur ist, was vom Menschen bleibt – sonst nichts. Wer würde sich heute noch der Medici erinnern, wenn sie sich nicht mit den schönen Künsten geschmückt hätten? Wer wird sich an die momentane Regierung erinnern in 100, in 500 Jahren?

Wovon lebt Wien heute? Von der vorletzten Jahrhundertwende, vom Jugendstil, also von der Architektur, von der Kunst und auch von einem musikalischen Ruf, der vor Jahrhunderten entstanden ist. Also zurück in die Zeit, als Ludwig Wittgensteins Vater mit anderen die Sezession ermöglichte, als er den Rebellen Klimt, Schiele und Co, eine Auswanderungsmöglichkeit aus dem faden Künstlerhaus gab, prominent am Karlplatz. Als Dank wurden die heute vielersehnten, gebildeten Mäzene vergast – und jeder, der sich noch retten konnte, verließ das Land. Juden ebenso wie Nicht-Juden. Jeder, der denken wollte und dem Regime entkommen konnte, rannte, so schnell er konnte und strebte neuen Ufern zu. Schauen Sie doch mal, wieviele Künstler aus Österreich halfen, das amerikanische Imperium großzumachen.

Nach diesem Kahlschlag der Intelligenzia blieb nach dem 2. Weltkrieg ein Vakuum – eine Leere, eine Wunde, die jahrzehntelang offen klaffte. Aber wen störte das in den Aufbaujahren? Es brauchte Leute, die die Ärmel hochkrempeln und anpacken konnten. Nein, ich mache mich nicht lustig über diese Generation, denn sie legte die Grundlagen für alle Nachgeborenen. Nur konnte gerade sie die Bedeutung von Kultur nicht erfassen. Wien verlor unwiederbringliche Architektur, bis dann in den 70er Jahren, nach zähen Kämpfen, endlich eine Trendwende stattfand, die nur wenige Jahre später ins Gegenteil umschlug – nun wurde jedes Jugendstilklo unter Denkmalschutz gestellt, weil man erkannt hatte, dass sich damit gutes Geld machen ließ. Ein bisschen erinnert mich das an die Gemeinde Steinbach am Attersee. Dort kann man das Kompositionshäuschen des ehedem verfemten Gustav Mahler besuchen. In den 40iger Jahren hatte es der Bürgermeister in ein öffentliches Pissoir umwandeln lassen. Dann, im Zuge des aufkeimenden Tourismus, erkannte einer seiner Nachfolger, dass sich damit Geld machen ließe. Also wurde maßstabsgetreu, nicht unweit des Originals, eine Replik errichtet, zu der heute Österreicher wie Japaner pilgern. Aber brunzen tut man immer noch dort, wo Mahler komponierte. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.

In den Siebzigern endlich hörte, las, sah, spürte man in diesem oh du mein armes Österreich wieder, dass Talent nachgewachsen war, und schon wieder verfemt meldete sich die wohl wichtigste Äußerung Österreichs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Wort: der Aktionismus. Die Folge: wieder Exil, diesmal milder, keiner musste sterben, den eigenen Tod haben manche in ihrer Verzweiflung dann selbst herbeigeführt. Erst in den 80iger Jahren wurde etwa Günther Brus vom Bann des österreichischen Präsidenten freigesprochen.

Der Humanist Kreisky, wie sie heute sagen, der blaue Reiter, wusste schlau die Intellektuellen und Künstler auf seine Seite zu ziehen, auf der sie dann auch stramm und gefällig standen. Der Staat hatte die Rolle des ausgelöschten Privatkapitals übernommen , weil es keine Alternative gab. Pfui Teufel, der Staat. Staatskünstler. Stipendien und Subventionsbezieher, Taugenichtse. Schmarotzer, Drogensüchtige. Oder wie sie der Mann, der in den Süden zog, beschrieb (er stammt wie ich aus Oberösterreich, ein wunderbares Bundesland, aus dem schon viele abwanderten): jene, die die Hand nicht beißen sollen, die sie füttert. Eine Diktion, die Animositäten schafft und eine nicht gerade kleine Gruppe von Menschen stigmatisiert, sie brandmarkt mit den Malen der Unnützlichkeit. So wie die Pensionisten, die den Jungen mit ihren Renten den berechtigten Anteil am Budget wegfressen...

Naturgemäß widersprechen die Kulturschaffenden Österreichs dieser Diktion, und doch legen sie in ihrem Verhalten, aus Angst ums Überleben, genau diese Hungerleider/Bettelmentalität an den Tag und entschuldigen sich auch noch dafür, dass sie Gelder von Vater Staat beziehen. Statt dass der Löwe brüllt, dass wir alle gemeinsam brüllen: KUNST IST ARBEIT. KUNST SCHÖPFT WERT. KUNST MACHT DEN MENSCHEN ZUM MENSCHEN.

Und ganz nebenbei: Wer auf der Insel erfährt keine Zuwendungen vom Staat? Was ist mit den Bauern, kriegen die etwa keine Förderungen? Und die Wirtschaftstreibenden, die Unternehmer? Auch sie beziehen direkt und indirekt, zum Beispiel über die Kammern, Geld vom Staat – über Ausfallshaftungen etc. Unsummen, die jedes Kulturbudget hundertfach übersteigen. Es geht auch dieser Regierung, ob der Wiederwählbarkeit, um Arbeitsplätze. Siehe Magna als Kompensation für die Abfangjäger. Aber was ist mit den Tausenden von Menschen, die im Kulturbereich tätig sind? Was ist mit der Filmbranche, die dabei ist sich aufzulösen?

Amerika regiert die Welt ob des Films. Sicher haben Sie schon oft gelesen, dass der kapitalkräftigste Exportposten der Vereinigten Staaten der Film ist. Wann wird es eine österreichische Regierung geben, die die Grundlagen schafft für eine lebendige Filmindustrie? Aber nein, nicht nach dem Modell Amerika. Wir können selbst auch denken. Wir sind doch so stolz auf unser Europa und wollen anders sein. Wir fühlen uns immer kulturell überlegen, also lässt sich daraus schließen, dass wir über die Unterhaltung hinaus wollen – Bleibendes schaffen wollen, das uns geistig und menschlich weiterbringt. Und das kann man nicht nach betriebwirtschaftlichen Grundlagen messen. Kunst kann man nicht privatisieren, Kunst kann man nicht nach ihrem Nutzen messen, Kunst trägt sich nicht selbst. Nicht in diesem Land und auch in keinem anderen. Aber hier sollte man wohl, nach allem, was im letzten Jahrhundert passiert ist, besonders eifrig auf die Künste setzen. Wir Künstler sind sicher bessere Botschafter unseres Landes als alle Politiker der zweiten Republik. Wir sorgen für Völkerverständigung indem wir unsere Arbeiten im Ausland präsentieren, kommunizieren.

Der Staatssekretär gibt ein Bekenntnis zum künstlerischen Film ab. Lächerlich, wenn man an die beiden einzigen wirklichen Filmproduzenten in diesem Land denkt, das österreichische Filminstitut und der Film Fonds Wien – die anderen nennen sich nur Produzenten, weil sie sich bei den beiden Instituten das Geld abholen. ÖFI und WFF, geleitet von willfährigen Vollstreckern des Paradigmenwechsels, Funktionärsfeiglingen, die Jurien einsetzen, in denen – seht her – auch Ausländer sitzen dürfen, die nicht anders als die Inländer ihre eigenen Interessen wahren, indem sie den Wünschen der Politik noch Vorschub leisten. Faktum ist, dass seit geraumer Zeit jedes nicht der Norm entsprechende Projekt, jeder künstlerische Film abgelehnt wird, weil Angst herrscht vor den Sanktionen der Politik. Ein Garant für innovativen österreichischen Film!

Auch beim Mikrokosmos des Landes, dem ORF, ist wie bei den Filmförderstellen die Devise eindeutig: Wir unterstützen nur noch, was mit Österreich zu tun hat. Macht Filme über Hernals, das Zillertal, lasst uns uns selbst feiern. Worldy sind wir sowieso. Und im europäischen Konzert können wir uns nur hör- und sichtbar machen, wenn wir auf uns selbst setzen. Nachzudenken darüber, was rund um uns stattfindet, ist nicht mehr erwünscht.

Deutschland ist neidig auf die Erfolge der österreichischen Filmemacher im Ausland, und man wundert sich. Zur Erinnerung: Neben unzähligen internationalen Festivalteilnahmen gab es zuletzt Hauptpreise in Cannes, Venedig – und eine Oscarnominierung. Der Staatssekretär steckt sich das stolz ans Revers, die Lemminge von der Förderung kriegen Auszeichnungen um den österreichischen Film, und dann heißt es: Seht doch, wir machen alles richtig, wir brauchen nicht mehr Geld. Es tönt aber auch: Festivalteilnahmen sind nicht genug, Filme, die es nicht ins Kino schaffen, haben keine Daseinsberechtigung. Was wider den Markt arbeitet, kann nichts wert sein.

Besucherzahlen, Quoten werden als einzige Grundlage für das richtige Einsetzen von Steuergeldern herangezogen. Doch haben sie schon jemals gehört, dass ein sogenannter Hit vorprogrammiert war? Auch wenn alle Parameter stimmen – wie bei den von der Industrie gezüchteten Teenie-Bands, kann keiner voraussagen, ob die Sache auch tatsächlich funktionieren wird. Und wollen wir sie wirklich, die totale Gleichschaltung, wo wir doch so stolz drauf sind anders zu sein, eine eigenständige Identität zu haben, individuell zu sein? Sollen wir wirklich wie die Deutschen mit den Gewürzen Hollywoods eine dünne Suppe kochen, deren Ingredienzien mit den hier heimischen Pflanzen nicht so schmecken kann wie das Original aus der Retorte? Können wir denn nicht stolz drauf sein, dass wir eben anders funktionieren und dazu beitragen, dass die Welt so schön und bunt bleibt, wie sie ist? Können und wollen wir uns den Luxus des Experiments nicht leisten, der die Chance impliziert, an neue Ufer zu stoßen? Spielen wir Piccolo-Flöte, dirigieren wir, oder komponieren wir gar? Das sind die Fragen, die sich die Politik stellen sollte.

Vor vielen Jahren erlaubte ich mir einem Botschafter, der sehr rüde zu mir gewesen war, Folgendes zu sagen: „Mein Herr, ich glaube, Sie haben da etwas falsch verstanden, Sie sind für mich da und nicht umgekehrt. Der Staat bin ich.“ Nun – mit diesem Appell allein sollte sich die Kunst an die Politik wenden: Der Staat sind wir und ihr als unsere Repräsentanten habt etwas für uns zu tun und nicht umgekehrt.

Ich verüble es den Damen und Herren der Fortschrittspartei nicht, dass sie die Kunst nicht berührt. Kunst hatte immer mit Bildung zu tun, und so wird es wohl auch immer bleiben. Das Argument für allgemeine Verständlichkeit entspringt einem falschen Geschichtsbewusstsein. Aber dass die Konservativen in diesem Land, die nun das Steuer halten und mit den Ungebildeten mitrudern, ihre eigenen schwer erkämpften Wurzeln (siehe 1848) verleugnen, geht über meine Vorstellungskraft. Klavier spielt er der Kanzler und Kunst hat er an den Wänden – sieht man im Fernsehen –, aber was die Kunst kann, scheint er nicht verstanden zu haben.

Immer schon gab es in der gehobenen österreichischen Bürokratie solche, die die Idee vom Bildungsbürgertum wirklich verkörperten, und so mancher von ihnen bewies mehr Offenheit als sein sozialistisches Pendant aus der Vorstadt. Wo sind ihre Stimmen – wieso höre ich sie nicht? Sind sie denn alle am Abstellgleis, weil sie, wie der ehemalige Wiener Kulturstadtrat, diese Regierung nicht mittragen wollten? Darüber hinaus sind ihre Reihen noch mit dem Vorgängermodell gespickt – der Aristokratie. Was ist denn mit diesen Herrschaften? Hat sie der Sozialismus sosehr verflacht, haben sie so gut gelernt, sich anzubiedern, dass sie ihr traditionelles Selbstverständnis als kunstsinnige Creme de la Creme vergessen haben? Es scheint zu stimmen, dass Adel nur mehr im Kopf ist.

Lieber Herr Kanzler, liebe Minister und Staatssekretäre, liebe Bürokraten; wir Künstler und Regisseure sind nicht zur Behübschung eurer Landschaft da. Wir sind auch nicht dazu da, das Hier und Jetzt zu dokumentieren. Es gibt uns, weil wir Fragen stellen – Fragen nach dem Menschsein, nach dem Leben, nach dem Tod, elementare Fragen, die wichtiger sind als euer schnödes Spiel um die Macht. Vielleicht schon demnächst , wenn jemand stirbt, den ihr liebtet, werdet ihr euch daran erinnern, wie nichtig ihr seid im Lauf der Zeiten, und dann werdet ihr unsere Fragen und das Sensorium unserer Antworten brauchen – vergesst das nicht. Deswegen sag ich euch: Es gibt große Talente in diesem Land – vertreibt sie nicht, nein hegt sie, um euer selbst willen, oder wollt ihr die Fehler eurer Vorgänger ewig weiterspinnen?